The Thaumaturge ist ein Rollenspiel mit großem Fokus auf Geschichte, die im alternativen Warschau des 20. Jahrhunderts spielt.
In The Thaumaturge verschlägt es uns in ein alternatives Warschau im Jahre 1905. Und schon zu Beginn sehen wir, dass wir nicht weit kommen, ohne, dass uns Soldaten um unsere warmen Stiefel erleichtern wollen. Hinzukommt, dass unser Protagonist Wiktor sehr erschöpft aussieht und vermeintlich Selbstgespräche führt. Zugegebenermaßen versprüht der Anfang noch keinen so großen Reiz wie das Fantasy-Epos Baldurs Gate 3, allerdings setzt dieser relativ schnell ein. Ob uns die Geschichte von Wiktor auch so gefesselt hat, wie die Geschichte um Baldurs Tor? Wir verraten es euch!
Gestatten, Wiktor!
Zu Beginn lernen wir unseren Protagonisten, Wiktor Szulski, kennen. Er ist nicht bloß ein einfacher Mensch, von denen es viele auf der ganzen Welt gibt, sondern ein besonderer – denn er ist Thaumaturg. So gesehen eine Art Magier, der alte Riten nutzt, um mit spektralen Wesen, die als Salutoren bekannt sind, an seinen eigenen Willen zu binden. Schnell lernen wir außerdem seinen neuen Freund Rasputin (ja, genau der), kennen. Zu Beginn streifen wir durch ein kleines Dorf, in dem wir Wiktors Fähigkeiten ausprobieren und daran gewöhnen können. Haben wir das Gefühl, uns damit vertraut gemacht zu haben, können wir uns auf den Weg nach Warschau machen, um ein Geheimnis zu untersuchen, bei dem eine Menge auf dem Spiel steht.
Schnell merken wir, dass uns The Thaumaturge mit einer Menge Eigennamen, die in westlichen Gefilden nicht so geläufig sind, konfrontiert. Zudem kommen noch die angesprochenen Mechanismen hinzu, sodass oftmals die Gefahr besteht, nicht durchzublicken oder der Geschichte nicht folgen zu können. Doch das Entwicklerstudio Fool’s Theory hat mitgedacht und leistet bei der Einführung dieser verschiedenen Aspekte gute Arbeit und wir wollen immer mit noch einer Person reden, um mehr zu erfahren und vielleicht den Hinweis zu bekommen, wie wir die aktuelle Aufgabe meistern können.
Seit-an-Seit mit Geist
Ein wichtiger Schlüssel für das Lösen der Aufgaben sind stets die Thaumaturgie-Kräfte unseres Protagonisten, denn bestimmte Gegenstände hinterlassen Spuren, die eine Art Markierung des Besitzers darstellen. Für Thaumaturgen ist das wichtig, denn so lassen sich bedeutende Beweise finden. Beispielsweise finden wir im Tutorial einen alten Blutfleck, der „normalen“ Menschen sicherlich nicht allzu viel sagen würde, uns aber verrät, wie eine Person gestorben ist, mit welcher Waffe sie attackiert wurde und sogar, in welchem emotionalen Zustand sie sich zu der Zeit befand. Für Thaumaturgen ist es wichtig, dies zu verstehen, denn schlechte Schwingungen können einen großen Einfluss auf die Bevölkerung und sogar das Universum haben, denn sie ziehen die bereits erwähnten Salutoren an und bedrohen die Leute.
Um das etwas besser nachvollziehen zu können, müssen wir uns in die Menschen, die in dieser Welt leben, hineinversetzen können. Denn im Grunde begegnen wir immer wieder Leuten, die einfach nur ihrem alltäglichen Leben nachgehen, das allerdings von Krieg, Wirtschaft und familiären Sorgen geprägt ist – und ohne es zu wissen, leben sie Seite an Seite mit Monstern und Magie, die im Falle von The Thaumaturge unter anderem vom Wiktor wahrgenommen werden können. Beispielsweise sind die Besucher eines Gasthauses mörderisch verrückt geworden. Nachdem wir etwas nachgeforscht haben, finden wir heraus, dass dies an einem bösen Gespenst liegt, das sich hier eingenistet hat.
Schnapp sie dir alle!
Um solche bösen Geistern wieder zu besänftigen, müssen die Thaumaturgen diese an ihren eigenen Willen binden und in Schach halten. Wiktor hat allerdings einen großen Anspruch an sich selbst und zieht so als ehrgeiziger polnischer Ash Ketchum los, um sie alle zu fangen. Das führt dazu, dass wir im Verlauf des Spiels ein Dutzend dieser Salutoren unter unserem Kommando haben, die wir auch sehen und dessen Fähigkeiten wir sogar einsetzen können. Optisch sind sie auch echt beeindruckend. So ist der Upyr, eine dämonische Kreatur aus der slawischen Mythologie, wie ein schwebendes, in Pelze gehülltes, Skelett dargestellt wird, der unseren Feinden die Lebenskraft entzieht.
Das Kampfsystem orientiert sich vor allem an traditionellen Rollenspielen, in dem wir anfangs vor allem unsere Fäuste sprechen lassen. Dabei können wir immerhin zwischen schnellen oder langsameren, aber dafür schweren Schlägen, wählen. Später, mit mehr Salutoren unter unserem Kommando, können wir wieder unseren inneren Ash Ketchum herauslassen und die Geister so in den Kampf schicken. Neben dem Upyr gibt es noch den Lelek, das aussieht wie ein seltsames kleines Vogelwesen, das unsere Gegner in den Wahnsinn treibt und für Chaos sorgt. Ein anderer ist der Bukavac, ein großes angekettetes Knochenbiest, das die Gegner mit stapelbaren Schadenseffekten belegen kann.
Meinen Stolz nimmt mir niemand
Dennoch kann WIktor nicht alle Probleme mit der Magie der Salutoren lösen. Oft genug müssen wir als Detektiv tätig werden und Beweise finden, um Schlussfolgerungen ziehen zu können, mit denen wir neue Optionen in Gesprächen aufdecken können und so weitere Möglichkeiten bekommen, mit den Leuten zu interagieren. Zwar können wir auch durchaus Gewalt zurate ziehen, sobald es aber etwas subtiler oder saubere sein soll, müssen wir uns umschauen. Im Grunde müssen wir zu jeder Zeit Entscheidungen treffen, wobei diese aber immer Vor- und Nachteile mit sich bringen. Mit der Zeit schalten wir durch Stufenaufstiege auch weitere Möglichkeiten frei, diese sind aber oftmals hinter bestimmen Thaumaturgen-Schulen verschlossen.
Auch Wiktor hat einen Vor- oder Nachteil, je nachdem wie wir seinen „Makel“ ausspielen wollen. Denn unser Protagonist in The Thaumaturge ist voller Stolz, weshalb es viele Gesprächsoptionen gibt, die mit einem Stolz-Symbol markiert sind und so diesem Makel in die Karten spielt. Zum Beispiel bittet uns eine Dame, uns hinzuknien und ihren Schuh zu binden, damit wir ein vertrauliches Vieraugengespräch führen können. Entscheiden wir uns für Wiktors Stolz, schnauzen wir die Dame an und fragen sie, warum sie uns wie einen Lakaien behandeln möchte. Dabei ist sich Wiktor seinem Stolz aber stets bewusst und sieht auch, dass andere Menschen ähnliche Schwächen, wie Zorn oder Habgier haben. Diese Makel sind oftmals der Auslöser für das Auftauchen der Salutoren.
Verachtung und Misstrauen
Dabei ist es aber gar nicht so einfach, eine gesunde Balance des Stolzes zu finden. Immerhin bekommen wir mehr Gesprächsoptionen, wenn wir unseren Stolz nähren. Allerdings nähren wir so auch den Fluch, der auf uns liegt. Dadurch entsteht eine spannende Gratwanderung der Persönlichkeit von Wiktor. Wird er zu einem Fußabtreter oder verlieren wir ihn? Das wird umso schwerer, wenn wir den Kontext der Stadt hinzuziehen. Denn überall sehen wir Kontraste und Konflikte, wozu unter anderem der Kampf der Arbeiter für „bessere“ Arbeitsbedingungen gehört. Aber auch viele Warnungen vor Thaumaturgen, die ausgerottet werden müssen, damit sie keine Teufel in die Stadt bringen.
Im Warschau aus The Thaumaturge finden wir zudem viele verschiedene Menschen, so unter anderem jüdische Händler, die mit den polnischen Einwohnern Handel treiben, die sich über russische Soldaten ärgern, die auf alles einen ganz genauen Blick werfen. Und während sich die obere Schicht der Stadt in Ballsälen zu Banketten trifft, floriert in der Unterwelt das Verbrechen. Wiktor begegnet der Stadt mit Verachtung und die Stadt begegnet ihm wiederum mit Misstrauen.
Der russische Zar
Als Wiktor in Warschau ankommt, begrüßt ihn sofort ein Agent des russischen Zaren, unter dessen Einfluss die Stadt steht. Er wettert über die Feinde des Staates und wir bekommen sofort ein Gefühl dafür, was uns hier erwartet. Dennoch fühlt es sich real an und ist sogar geschichtlich verankert, was uns dazu motiviert, den Stolz unseres Protagonisten hinten anzustellen und denen zu helfen, die unter der Herrschaft des Zaren leiden.
Auch wir haben während des Tests etwas gelitten – auch wenn das vielleicht harsch klingt. Hin und wieder gab es leider Zwischensequenzen, die etwas überhastet und ungenau wirkten. So stolperten Charaktere durch das Gelände oder ihre Animationen wirkten komisch. Das hat zwar keinesfalls die grundlegend gute Stimmung getrübt, fiel uns aber auf.
Fazit
„Insgesamt schafft The Thaumaturge es, eine übernatürliche und spannende Geschichte in einem alternativen Universum mit real existierendem historischen Kontext zu verweben. Als Außenseiter, mit Laster, kann sich Wiktor für eine Seite entscheiden und so für sie einstehen, dabei aber verschiedene Zweige einschlagen und so unweigerlich den Ausgang der Geschichte beeinflusst. Jedes Mal, wenn ich eine Entscheidung treffen musste, fühlte sie sich schwerwiegend an, auch wenn ich das Ergebnis noch nicht kannte. Bedauerlicherweise gibt es ein paar technische Kritikpunkte, die ich an der Stelle aber nicht allzu schwerwiegend ansehe, immerhin lassen sie sich noch ausbessern. Wer Spaß mit Story-getriebenen Rollenspielen hat, bei denen die Stimmung durchaus etwas düsterer sein darf, findet hier für ca. 25 Stunden gute Unterhaltung!“
Vielen Dank an 11 bit studios für das Bereitstellen des Review-Keys für den PC.